Wie alles begann … – Die Frühgeschichte des Brauweiler Kreises (1978-1993)
Katrin Minner (Siegen/Münster)
Heute ist der Brauweiler Kreis ein Zusammenschluss von akademisch ausgebildeten Fachhistorikerinnen und Fachhistorikern aus Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Archiven, Museen, Gedenkstätten und anderen Zusammenhängen die einen Interessensschwerpunkt auf regionaler Zeitgeschichte im nordwestdeutschen Raum, v.a. im Bereich von Nordrhein-Westfalen und seiner Nachbargebiete, haben und sich auf jährlich stattfindenden Tagungen über ihre Forschungen austauschen.
Mitglieder
In der Frühzeit der ersten 15 Jahre prägten zwei Kriterien die Zusammensetzung der Mitgliedschaft. Zum einen eine gewisse Exklusivität: Dem Kreis sollten nach Vorstellungen der Führungsköpfe und der meisten Mitglieder nicht mehr als 100 Personen angehören. Zum anderen wurden Personen aus Geschichtswissenschaft, Archivwesen, Journalismus, Kulturverwaltung, Schulen und historisch-politischer Bildung gezielt angesprochen und aufgenommen, wenn sie zur regionalen Landesgeschichte gearbeitet hatten und durch ihre Position einen Beitrag zur Unterstützung der Forschung, der fachlichen Vernetzung und der Verbreitung des Landes-/regionalgeschichtlichen Wissens leisten konnten. Über die Aufnahme in den Kreis entschieden Lenkungsausschuss/Vorstand und Mitgliederversammlung.
Idee, Konzept und Konstituierung
Idee und Konzept des Vereins zur Erforschung der regionalen Zeitgeschichte („Landeszeitgeschichte“) gehen auf den Gründer und langjährigen Vorsitzenden Walter Först zurück. Hauptberuflich war der Journalist von 1960/61 bis Ende 1985 Leiter der Hörfunk-Landesredaktion des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Aus dem Vorhaben von Först, dem Bonner Landeshistoriker Georg Droege und dem pensionierten Direktor des Landschaftsverbands Rheinland, Udo Klausa, zu einer Wochenendtagung zum Thema „Landesgeschichte und regionale Zeitgeschichte“ einzuladen, ging ein erstes Vorbereitungstreffen von 14 Personen am 25. Oktober 1978 hervor. Der Treffpunkt in der ehemaligen Benediktinerabtei Brauweiler (Pulheim) gab dem Kreis seinen Namen. Zu einer zweiten Sitzung am 22. März 1979, die in eine informelle ‚Gründung‘ des Brauweiler Kreises mündete, kamen 30 ausgesuchte Gesprächspartner (darunter eine Frau), um auf Grundlage des Memorandums „Geschichtliche Landeskunde und regionale Landesgeschichte“ über das weitere Vorgehen zu debattieren und einen „Lenkungsausschuss“ zu bestimmen. Für den Kreis erhob der Akademische Oberrat an der Universität Köln und langjährige Schrift-/Geschäftsführer des Vereins, Klaus Pabst, den damaligen Forschungsstand regionaler Zeitgeschichte über Anfragen an Hochschulen und Archive.
Zunächst lose und informell organisiert, legten die Probleme der Finanzierung bald eine Überführung in einen eingetragenen Verein nahe, die am 11. Juli 1984 im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf vollzogen wurde. Aus dem bisherigen Lenkungsausschuss wurde ein vorläufiger Vorstand. Am 9. März 1985 wählte die Mitgliederversammlung den ersten offiziellen Vorstand. Die Gruppe der führenden Köpfe blieb in den ersten 15 Jahren recht konstant.
Die Satzung (1984/1987) schrieb das Ziel fest, den wissenschaftlichen Austausch und die Forschung zur Geschichte des nordwestdeutschen Raumes und seiner Nachbargebiete, insbesondere des Landes Nordrhein-Westfalen, zu fördern und dies mit wissenschaftlichen Veranstaltungen und Forschungsvorhaben umzusetzen.
Vermittlung und Vernetzung
Die Frühzeit zeichnete unter der Ägide Försts die Intention aus, das erhobene landes-/regionalgeschichtliche Wissen zu vernetzen und im Sinne einer Wissenschaftskommunikation über die akademische Community hinausgehend in die Öffentlichkeit zu vermitteln. Först sah den Brauweiler Kreis als Informations- und Kontaktbörse für Multiplikator*innen der historisch-politischen Bildung in Hochschulen, Schulen, Presse, Rundfunk, Erwachsenenbildung und der Landeszentrale für politische Bildung.
Diskussionsforen
Als Foren des Austausches und der Vermittlung dienten die jährlichen Tagungen, die unter ein bis drei Oberthemen standen, und die ab 1986 erscheinende, vom Verein herausgegebene Fachzeitschrift „Geschichte im Westen“. Diese erschien bis 2005 halbjährlich, dann jährlich. Für eine eigene Editionsreihe zu Dokumenten der Geschichte des 1946 neugründeten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen machte der Verein 1988 einen ersten Aufschlag mit zwei Bänden zur Entstehung des Landes. Für eine Fortsetzung der Reihe konnte er aber keine dauerhafte finanzielle Unterstützung des Landes NRW einwerben. Zur Unterstützung der vereinseigenen Tagungen und Publikationen arbeitete der Kreis mit der Landeszentrale für politische Bildung und den beiden Landschaftsverbänden zusammen.
Themen und Herangehensweisen
Während Walter Först, Peter Hüttenberger und einige Forschende der Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (KGParl) v.a. die Frühzeit des neuen Bundeslandes und politikgeschichtliche Zugriffe interessierten, brachten andere Hochschullehrer sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Ansätze ein, die anfangs einen Schwerpunkt auf das Ruhrgebiet und das Zeitalter der Industrialisierung bildeten. Neue Forschungstrends wie die Alltags- und Kulturgeschichte zogen sukzessive über die Interessen der Mitglieder ein. Die Jahrestagungen spiegelten aktuelle Trends der geschichtswissenschaftlichen Forschung, die von den Mitgliedern auf die Region angewandt wurden. Auch schufen die Tagungen Freiräume für archivpraktische Fragen der wissenschaftlichen Arbeit, z.B. in Bezug auf Quellenlage, Quellenkritik, Archivzugang sowie den Umgang mit zeitgeschichtlichem Quellenmaterial.
Für die Frühzeit lassen sich einige spezielle Interessenfelder festmachen, die in eigenen Arbeitsgruppen aufgingen: „Stadtgeschichte“ und „Geschichtsvereine“ (inklusive Initiativen der „neuen Geschichtsbewegung“) (beide ab 1983) sowie Benelux (ab 1985).
Ausblick
Bald nach seiner Gründung entwickelte sich der Brauweiler Kreis zu einem wichtigen Player der nordrhein-westfälischen Geschichtsforschung und Geschichtspolitik. Dazu trug neben der Expertise der Mitglieder vor allem der umtriebige Vorsitzende Walter Först bei, der sich von den 1960er bis in die 1980er Jahren einen Ruf als ausgewiesener Experte für die Geschichte des Landes NRW erworben hatte und gut vernetzt war mit vielfältigen Funktionsträgern in Politik, (Kultur)Verwaltung, Archiven, Wissenschaft, historisch-politischer Bildungsarbeit und Journalismus.
Nach dem Tod des langjährigen Vorsitzenden 1993 vollzog sich ein Wandel in der Ausrichtung des Vereins: Der Fokus auf den Anspruch öffentlicher Wirksamkeit verschob sich zugunsten der Rolle als wissenschaftliches Netzwerk.
——————————————————————
Literatur:
Katrin Minner, Walter Försts neuer Kanal: fachliches Netzwerk, neues Wissen und Vermittlung – Die Frühzeit des Brauweiler Kreises (1978-1993), in: Geschichte im Westen 40 (2025), [im Druck]
Katrin Minner, Walter Först, in: Internetportal Rheinische Geschichte, 2022, https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/walter-foerst/DE-2086/lido/6278d20b1dba58.99940712 (7. Juni 2025)
Klaus Pabst, Mit dem Herzen Nordrhein-Westfalen: Walter Först, Wolfram Köhler und Peter Hüttenberger als Protagonisten des Landesbewusstseins, in: Jürgen Brautmeier u.a. (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 73-87
Christoph Cornelißen, Der lange Weg zur historischen Identität. Geschichtspolitik in Nordrhein-Westfalen seit 1946, in: Thomas Schlemmer, Hans Woller (Hg.), Bayern im Bund, Bd. 3: Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1975, München 2004, S. 411-484