„Der Kalte Krieg in der Region“
Jahrestagung des Brauweiler Kreises für Landes- und Zeitgeschichte e.V. am 8. und 9. März 2018, Vogelsang IP (Schleiden)
Die diesjährige wissenschaftliche Tagung des Brauweiler Kreises widmete sich dem Thema „Kalter Krieg“ mit besonderem Schwerpunkt auf Nordrhein-Westfalen. Hier kulminierte die bedrohliche Auseinandersetzung zwischen „West“ und „Ost“ in vielfacher Hinsicht, denn hier befanden sich u.a. militärstrategisch wichtige Stützpunkte der NATO-Partner, die vor einem Angriff aus dem Osten schützen sollten. Im Mittelpunkt der Betrachtungen standen Fragen nach der politischen und medialen Inszenierung des Krieges, nach architektonischen Zeugnissen, aber auch nach dem Verhältnis zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern, die nach 1945 schließlich zu Verbündeten wurden. Fruchtbar war dabei, dass nicht allein aus geschichtswissenschaftlicher, sondern auch aus musikwissenschaftlicher oder archäologischer Perspektive auf die besondere Situation des Landes im Kalten Krieg geblickt wurde.
Ein Rundgang durch den Tagungsort „Vogelsang IP“, begleitet von Stefan Wunsch, eröffnete den Teilnehmern zu Beginn der Veranstaltung den Blick auf eines der architektonischen Geschichtszeugnisse der Region: die im NS-Staat erbaute Ordensburg wurde nach 1945 von der britischen und belgischen Armee genutzt und ist heute Tagungsstätte und Erinnerungsort der jüngeren deutschen Geschichte.
Am Abend wurde der Film „Good Morning Westphalia. Die Geschichte der Briten in Westfalen“ von Daniel Huhn gezeigt. Vorab erläuterte MARKUS KÖSTER (Münster) die Entstehungsgeschichte des Films und führte inhaltlich in seine Thematik ein. Die filmische Dokumentation der britischen Besatzung in Westfalen zeichnet anhand von Archivaufnahmen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie Interviews mit Zeitzeugen das Zusammenleben und Zusammenfinden der deutschen Bevölkerung und der britischen Besatzer nach.
Die Vormittagssektion der Tagung wurde von ECKHARD BOLENZ (Bonn) geleitet, der die Bedeutung der Eifel als Erinnerungslandschaft für die jüngere Vergangenheit hervorhob. Von den sichtbaren Spuren des Kalten Krieges handelte der Vortrag von FRANK MÖLLER (Köln). In der Region finden sich noch heute sogenannte Bunkeranlagen zur Aufrechterhaltung der Regierungsfunktion, Militäranlagen und bauliche Maßnahmen des Zivilschutzes wie z.B. Hilfskrankenhäuser, (Schul-)Schutzbunker oder auch Bergungsräume für Kulturgüter. Gemeinsam war diesen Schutzmaßnahmen zum einen eine Orientierung an Standards aus dem Zweiten Weltkrieg und zum anderen eine naive Technikgläubigkeit, die sich z.B. an den aus heutiger Sicht absurden Schutzmaßnahmen im Falle eines Atomangriffs zeigt. Neben den greifbaren Maßnahmen gegen die Gefahren des Kalten Krieges existierten in der Region aber auch „Denkfabriken“ und Ideenlandschaften, die durch dichte Netzwerke wie den „Kongress für kulturelle Freiheit“ z.B. antikommunistische Literatur förderten oder eine Schriftenreihe herausbrachten, die noch heute von der Bundeszentrale für Politische Bildung vertrieben wird.
Dem Verhältnis der britischen Besatzer zur deutschen Bevölkerung widmete sich auch PETER SPEISER (London). Unter der Bedrohung durch den Kalten Krieg konzentrierte sich die britische Rheinarmee zunächst vor allem auf militärische Übungen für den Fall eines tatsächlichen Einsatzes. In dieser Phase spielte der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung eine untergeordnete Rolle und beschränkte sich darauf, Schulen, leerstehende militärische Gebäude (wie z.B. auch die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang), aber auch Privathäuser zu beschlagnahmen, um dort Truppen unterzubringen. Mit der Zeit setzte jedoch ein Wandel im Denken ein: Hatte man zunächst Stärke und Überlegenheit demonstrieren wollen, versuchte man nun, über verbesserte Beziehungen die Demokratisierung in Deutschland voranzutreiben und gewissermaßen als „Botschafter in Uniform“ zu befördern. Die Sprachbarriere, fremde kulturelle Gewohnheiten, aber auch Streitigkeiten zu späterer Stunde aufgrund erhöhten Alkoholkonsums erschwerten die Bemühungen anfangs jedoch. Um diesen Problemen zu begegnen, organisierte die Britische Rheinarmee Sport- und Jagdveranstaltungen, Kinderfeste oder Meetings und hoffte, damit Barrieren abzubauen und die Kontakte zu intensivieren. Dass diese Strategie erfolgreich war, zeigt die hohe Anzahl binationaler Ehen und der Verbleib zahlreicher (ehemaliger) Soldaten in Deutschland nach Abzug der Truppen.
ALFONS KENKMANN (Leipzig) griff anschließend die Ereignisse um den Tod Philipp Müllers auf, um ihre Instrumentalisierung sowohl durch die ostdeutsche als auch durch die westdeutsche Propaganda nachzuzeichnen. Philipp Müller war am 11. Mai 1952 bei der sogenannten Essener Friedenskarawane von einem Polizisten erschossen worden. Die Demonstration war kurzfristig verboten worden, als sich zahlreiche Teilnehmer bereits auf den Weg nach Essen gemacht hatten, um gegen die Pariser Verträge und die Westbindung Deutschlands zu protestieren. Überfordert von der Situation war die Polizei hart gegen die Demonstranten vorgegangen. In der westdeutschen kommunistischen Presse wurden die Ereignisse daraufhin als „Blutsonntag von Essen“ beschrieben, wohingegen zahlreiche andere Medien unkritisch dem Bericht der Polizei folgten, dem zufolge die Demonstranten zuerst geschossen hätten. Letztlich war man sich auch auf juristischer und politischer Ebene einig: Die Teilnehmer der Demonstration waren verantwortlich für den Verlauf der Ereignisse, darüber hinaus vermutete man kommunistische Drahtzieher. In der DDR war Müller zu diesem Zeitpunkt trotz aller westlichen Bemühungen längst zum Märtyrer geworden.
Die konkrete Bedrohung durch den Kalten Krieg wird auch dann deutlich, wenn man die zahlreichen militärischen baulichen Maßnahmen betrachtet, die die Gefahr umso sichtbarer machten. Aus archäologischer Perspektive vermittelte WOLFGANG WEGENER (Bonn) einen Einblick in die Architektonik und strategische Standortplanung der Militärbauten. Luftaufnahmen und Baupläne boten Quellenmaterial, um den Aufbau von Bunkeranlagen und Munitionsdepots, vor allem aber auch von Raketenabschussanlagen zu erläutern. Landkarten mit Markierungen der einzelnen Standorte verdeutlichten die Verteidigungslinie, die die Britische Rheinarmee längs durch das Rheinland gezogen hatte, um kriegerische Bedrohungen aus dem Ostblock abwehren zu können. Von besonderer Bedeutung war hierbei die Positionierung der Abschussrampen für die Flugabwehrraketen des Typs „NIKE“ und „HAWK“. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden viele der ehemals militärisch genutzten Gelände dann umfunktioniert, z.B. zu Erddepots für Autobahnneubauten, aber auch für eine naturnahe Nutzung z.B. als Weideland für Schafherden oder als Naturschutzgebiete.
SABINE MECKING (Duisburg) leitete die Nachmittagssektion der Tagung, die mit dem Vortag von YVONNE WASSERLOOS (Rostock) über das Kölner Konzert des Liedermachers Wolf Biermann im Jahr 1976 startete. Biermann war in der Folge seines Konzerts aus der DDR ausgebürgert worden, da er das ostdeutsche Regime in dessen Augen zu offensiv kritisiert hatte. Wasserloos spürte anhand musikwissenschaftlicher Überlegungen und des Konzertmitschnitts der Frage nach, ob Biermann die Ausbürgerung gewissermaßen provoziert hatte oder ob sie ihn tatsächlich unvorbereitet traf, wie er selbst die Ereignisse darstellt. Biermanns musikalischer und persönlicher Stil hatte sich im Verlauf seiner Karriere als Liedermacher immer weiter wegentwickelt vom sozialistischen Ideal eines zurückgenommenen Künstlers, der Liedgut für jedermann produzierte, hin zu einem individualistischen Stil. Aufgrund regimekritischer Äußerungen wurde der Sänger von der Stasi überwacht, Pläne zur Ausbürgerung gab es bereits vor 1976. Biermann, der sich selbst immer als überzeugter Kommunist und Sozialist und als DDR-Bürger begriffen hatte, zeigte sich von seiner Ausbürgerung tief getroffen, wenngleich er sie mit seinen musikalischen Provokationen auch in Kauf genommen haben mag.
Mit gewissermaßen zunächst „unsichtbaren“ Maßnahmen des Kalten Krieges beschäftigte sich SABINE KITTEL (Münster). Sie berichtete über Stasi-Agenten, die an der Universität Münster eingesetzt waren, um Kollaborateure zu akquirieren und Informationen zu beschaffen. Bei diesen Spitzeln handelte es sich um sogenannte inoffizielle Mitarbeiter (IM), die für die Stasi eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatten und auch an westdeutschen Hochschulen eingesetzt waren. Anhand zweier Biografien zeigte Kittel auf, dass zumindest IM „Park“ und IM „Thomas“ nur wenig erfolgreich waren und keine brisanten Informationen weiterleiteten oder weitere Agenten rekrutierten. Die Quellen belegen, dass es den beiden Informanten eher um finanzielle oder persönliche Vorteile ging. Die Langzeitbeobachtung stützt diesen Befund: Das Engagement der Spione ließ nach und eine Infiltrierung einschlägiger Kreise fand kaum statt. Dies lässt den Schluss zu, dass der propagandistische Erfolg der IM-Maßnahmen in Westdeutschland vor allem darin lag, feindliche Institutionen überhaupt infiltrieren zu können.
ALEXANDER FRIEDMAN (Düsseldorf) spürte im letzten Vortrag der Tagung der sowjetischen Rezeption der westdeutschen Friedensbewegung nach, die in den Moskauer Medien vor allem als antiamerikanische Bewegung interpretiert wurde. In diese Richtung zeigte z.B. auch die Berichterstattung über die sogenannten Krefelder Krawalle, die als von den USA bewusst provoziert dargestellt wurden. Die Proteste hatten sich an einem Besuch des US-amerikanischen Präsidenten George Bush entzündet, als Atomgegner gegen die Politik der USA demonstrierten und auch zu gewaltsamen Mitteln griffen. Die Moskauer Führung schlachtete diese und andere Ereignisse propagandistisch aus, um eine Spaltung des Westens zu erzielen. Szenarien wie die mögliche Zerstörung von Wahrzeichen wie dem Kölner Dom in einem Atomkrieg boten z.B. der Prawda darüber hinaus Gelegenheit, der sowjetischen Bevölkerung die Rücksichtslosigkeit der US-amerikanischen Regierung vor Augen zu führen, die bereit sei, für ihre Ziele Kulturgüter zu opfern. Die Berichterstattung schürte Ängste und war gezielt gelenkt von Funktionären der KPdSU.
Die verschiedenen Beiträge mit ihren unterschiedlichen Zugängen zeigten anschaulich, wie sehr der Kalte Krieg in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens präsent war. Er war in Form von militärischen Bauten unübersehbar, drang über die mediale Berichterstattung in die Köpfe der Menschen oder wirkte im Unsichtbaren z.B. über Spionage. In Nordrhein-Westfalen verdichten sich diese geschichtlichen Zeugnisse der jüngeren Vergangenheit, was sich nicht zuletzt auch am Tagungsort „Vogelsang IP“ manifestiert, der von einer nationalsozialistischen Kaderschmiede zum Truppenübungsplatz der Britischen Rheinarmee, später der belgischen Armee wurde und heute als Erinnerungsort für die Geschichte der Region dient.
Agnes Weichselgärtner, Bocholt